Peter Scheitlin, Thierseelenkunde

Tierethik & Veganismus · July 5, 2021

Das Zitat

Naturforscher und Aerzte! Experimentirt an euch selbst und nicht an Thieren. Wollet ihr, Aerzte! um dem Menschen hold seyn zu können, Unholde für die Thiere seyn? Lasset uns Böses thun, damit Gutes daraus entstehe, ist ein verdammlicher Grundsatz. Der Naturforscher, der am besten wissen sollte, was die Thiere seyen und was er gegen sie thun soll, scheint es oft am allerwenigsten zu wissen. Oft ist seine sogenannte Wißbegierde nur Neugier und Eitelkeit. Er will der Wissenschaft dienen! Die Wissenschaft ist der Niemand, weil sie keine Person ist. Er diene dafür dem empfindenden Thiere.

Peter Scheitlin (1779-1848)

Quelle: Peter Scheitlin, Versuch einer vollständigen Thierseelenkunde, Stuttgart/Tübingen 1840, Band 2, S. 442

Erläuterungen

Peter Scheitlin war ein schweizerischer Schriftsteller, Theologe, Pfarrer sowie Professor für Philosophie und Naturkunde. Er verfasste von der Aufklärung beeinflusste Erziehungsschriften, widmete sich unter anderem in zwei Werken dem Thema Armut und hatte Anteil an der Gründung eines Waisenhauses.

Scheitlin ist heute in der allgemeinen Bevölkerung beinahe vollkommen vergessen, aber sein Name taucht hin und wieder in Beiträgen zur Geschichte des deutschsprachigen Tierschutzes auf. Der Grund hierfür ist sein 1840 veröffentlichtes Mammutwerk „Versuch einer vollständigen Thierseelenkunde“.

Die „Thierseelenkunde“ (später auch oft „Tierpsychologie“) war eine im 19. Jahrhundert aufblühende (oft pseudo-)wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den geistigen Fähigkeiten und dem Gefühlsleben der Tiere beschäftigte. Sie spielt in der Geschichte des deutschsprachigen Tierschutzes eine bedeutende Rolle, da die Schriften dieses Forschungsbereichs oft eine klare Stoßrichtung in puncto Tierschutz und Tierrechte hatten. Ihre Vertreter kamen regelmäßig zu der Einsicht, dass sich aus den in ihren Werken festgestellten Eigenschaften der Tiere Pflichten des Menschen ergeben; eine Haltung, die durch Charles Darwins bahnbrechende Werke zusätzlichen Rückenwind bekam.

Scheitlin nimmt als Vertreter der „Thierseelenkunde“ in dieser Hinsicht eine gewisse Sonderstellung ein, da sich seinem Werk besonders scharfe tierethische Töne entnehmen lassen. Er spricht Tieren nicht nur Empfindungsfähigkeit zu, sondern auch die Fähigkeit, zu denken. Tiere hätten Rechte, und da sie empfinden können, seien sie sogar „Personen“ und „Selbstzweck“. Scheitlin griff folglich bereits 1840 in seinem Werk Ansätze auf, die im 20. Jahrhundert von großen Tierrechtlern wie Leonard Nelson oder Tom Regan wiederholt wurden. Kritisch angemerkt sei jedoch, dass Scheitlin den Fleischkonsum (sicher auch zeitbedingt) noch nicht hinterfragte. Der Mensch sei von Natur aus Fleischesser, weswegen der Verzicht „unphysiologisch“ sei.

Eine hervorragende Darstellung der „Thierseelenkunde“ im 19. Jahrhundert liefert: Hans Werner Ingensiep, Zur Lage der Tierseele und Tierethik im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Friedrich Niewöhner und Jean-Loup Seban (Hrsg.), Die Seele der Tiere, Wiesbaden 2001, S. 283-331.

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