Massentierhaltung – ein Definitionsvorschlag

Tierethik & Veganismus · March 14, 2023

Wer hin und wieder Online-Diskussionen zwischen Veganern und Landwirten verfolgt hat, bei denen das Thema „Massentierhaltung“ – sei es auch nur am Rande – aufgekommen ist, wird wahrscheinlich festgestellt haben, dass Landwirte auf diesen Begriff recht allergisch reagieren und regelmäßig dazu auffordern, diesen Begriff doch erst einmal überhaupt zu definieren. Ab wie vielen Tieren ist denn eine Tierhaltung Massentierhaltung? Eine Rückfrage, der man die Legitimität nicht absprechen kann, die jedoch von veganer Seite im Normalfall keine befriedigende Antwort erfährt.

Nun sollte dies indes nicht dazu verleiten, Veganern in dieser Hinsicht einen besonderen Vorwurf zu machen. Auch das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft der staatlichen Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hält in einem mit „Reizwort ‚Massentierhaltung‘“ betitelten Artikel allgemein fest: „Ab welcher Betriebsgröße bzw. ab wie vielen Tieren je Bestand oder Betrieb von ‚Massentierhaltung‘ gesprochen werden kann, ist allerdings nirgendwo definiert.“ [1] Die FAO hatte versucht, dieses Problem zu umgehen, indem sie das, was landläufig als Massentierhaltung gelten dürfte, so definierte: ein Haltungssystem, bei dem „weniger als 10% der Futtertrockenmasse dem eigenen Betrieb entstammt und in dem die Besatzdichte 10 Großvieheinheiten [10x 500kg Lebendmasse] pro Hektar betrieblicher landwirtschaftlicher Nutzfläche übersteigt“. [2, 3]

Es wird sich schwerlich behaupten lassen, dass die FAO mit dieser Lösung angemessen das beschreibt, was den Menschen durch den Kopf geht, wenn sie diesen Begriff benutzen oder hören; insbesondere die Herkunft der Futtermittel dürfte dabei keine Rolle spielen. Daher sei der Versuch unternommen, zu schauen, ob sich nicht andere Definitionsansätze finden lassen, die dem Begriff gerechter werden, also das mit ihm verbundene Problem der Tieranzahl aufgreifen.

Das von Spektrum online zur Verfügung gestellte Lexikon der Biologie schreibt hierzu:

„Charakteristisch für die Massentierhaltung sind ein möglichst geringer Einsatz von Arbeitskräften zur Versorgung und Fütterung der Tiere bzw. der Einsatz kostensparender maschineller Einrichtungen, die diese Arbeiten ausführen, sowie produktionsfördernde Maßnahmen (z.B. automatische Stallklimakontrollen, Masthilfsmittel). Im Gegenzug werden die arteigenen Bedürfnisse der Tiere meist stark vernachlässigt. […] Die Begriffe Massentierhaltung und Intensivtierhaltung werden meist synonym gebraucht, doch transportiert der Begriff Massentierhaltung stärker den Tatbestand hoher Tierbestände pro Betrieb und der Begriff Intensivtierhaltung die wirtschaftlich orientierte Tierhaltung mit hohen Besatzdichten und hoher Mechanisierung.“ [4]

Dieser Eintrag zum Stichwort Massentierhaltung betont demnach zwar, dass der Begriff sprachlich den Umfang des Tierbestands ins Zentrum rückt, liefert allerdings erwartungsgemäß keine nähere Orientierung. Auffällig ist, dass auch hier Charakteristiken thematisiert werden, die mit dem Fokus des Begriffs letztlich nichts mehr zu tun haben. Vielleicht erweisen sich Tierschutz- bzw. Tierrechtsorganisationen als hilfreicher?

Die Albert-Schweitzer-Stiftung versucht, sich mit den folgenden Worten einer Definition anzunähern:

„Massentierhaltung ist […] gekennzeichnet durch …

  • große Betriebe mit vielen Tieren. Genau definierte Obergrenzen gibt es nicht. Entscheidend ist, dass auch die anderen Punkte zutreffen.
  • den Einsatz von Technik und standardisierten Verfahren. Man kann daher auch von industrieller Tierhaltung sprechen.
  • die Ausrichtung auf die effiziente und günstige Massenproduktion von Fleisch, Eiern oder Milch.“ [5]

PETA schreibt:

„Bei der Massentierhaltung, auch Intensivtierhaltung genannt, werden sogenannte Nutztiere auf engstem Raum zusammengepfercht gehalten, um möglichst große Gewinnmargen zu erzielen – das eigenständige Individuum mit seinen ureigenen Bedürfnissen zählt nicht.“

„Massentierhaltung ist kein offiziell definierter oder festgelegter Begriff. Meistens ist damit die Intensivtierhaltung, also die konventionelle und intensive Tierhaltung in der Landwirtschaft gemeint. Dies ist auch die in Deutschland überwiegend vorherrschende Form der Tierhaltung. Innerhalb der Gesellschaft hat sich der Begriff Massentierhaltung stellvertretend für meist große Betriebe mit Hunderten Rindern, Tausenden Schweinen und Zehntausenden befiederten Tieren eingebürgert. Bei der sogenannten Massentierhaltung werden teils Hunderttausende sogenannte Nutztiere auf engstem Raum meist ohne Freigang oder andere Beschäftigungsmöglichkeiten auf Spalten- und Betonböden in Hallen zusammengepfercht. Sinn hinter der Haltungsform ist es, meistens Hühner, Puten, Rinder und Schweine auf der kleinstmöglichen Fläche mit den geringstmöglichen Mitteln zu halten und dafür die größtmögliche Menge tierischer Produkte wie Fleisch, Milch und Eier herzustellen.“ [6]

Auf der Basis dieser zwei Beispiele kann auch hier festgehalten werden, dass die bloße Tieranzahl sichtlich nicht als alleiniges Kriterium betrachtet wird. Auch wenn PETA grobe Zahlen angibt, ist deutlich zu entnehmen, dass es um andere Charakteristiken der Haltung geht, die jedoch auch dann festzustellen sein können, wenn niemand bei der gehaltenen Anzahl der Tiere an das Wort „Masse“ denken würde. Es handelt sich hierbei folglich nicht um Definitionsversuche, die sachlich zu überzeugen vermögen.

2016 verfasste Marc Lechleitner vom Parlamentarischen Beratungsdienst des Brandenburger Landtags einen Überblick, [7] der folgenden Titel trägt: „Möglichkeiten und Grenzen einer gesetzlichen Definition des Begriffs ‚Massentierhaltung‘“. Wenn der Begriff noch eine nützliche Konkretisierung erfahren kann, dann sollte sie in diesem Dokument zu finden sein. Lechleitner schrieb:

„Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff ‚Masse‘ eine große Zahl von Personen oder Objekten. Am einfachsten kann also eine Definition der ‚Masse‘ in Bezug auf die Tierhaltung erreicht werden, indem eine genaue Zahl von Tieren angegeben wird. Da die Regelungen jeweils an ihrem Zweck ausgerichtet sein müssen, dürfte eine allgemeine Definition etwa der Art, dass Massentierhaltung alle Einrichtungen sind, in denen mehr als 100 Tiere gehalten werden, kaum sachgerecht sein. Dementsprechend ist die Zahl je nach Regelungszweck, Art der Tiere und Zweck der Tierhaltung unter Berücksichtigung der jeweiligen agrar- oder sonstigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu differenzieren.“

„Bezieht sich die Zahl der Tiere hingegen auf eine bestimmte Fläche (Tiere pro Hektar/Bodenfläche je Tier), so entfernt sich dieser Ansatz von dem Begriff der Massentierhaltung. Denn eine hohe Besatzdichte ist auch bei einer kleinen, überschaubaren Zahl von Tieren denkbar.“

„Zunächst kann als offenkundig festgehalten werden, dass allein die Haltung einer kleinen Zahl von Tieren nicht die Gewähr dafür bietet, dass das Tier artgerecht gehalten wird. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik hat darüber hinaus festgestellt, dass zwischen Tierwohl einerseits und Bestandsgröße andererseits nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen kein eindeutiger Bezug besteht.“

„Damit lässt sich insgesamt festhalten, dass zu Zwecken des Tierschutzes eine Definition des Begriffs ‚Massentierhaltung‘, die auf Bestandsgrößen abstellt, nicht zweckmäßig ist.“

Da auch dieses Dokument keine Konkretisierungen bot, erscheint es ratsam, den Begriff „Masse“ zumindest etwas von der konkreten Tieranzahl zu entkoppeln. Lechleitner weist zudem berechtigterweise darauf hin, dass die Bestandsgröße keineswegs als zuverlässiger Parameter für das (vorhandene oder abwesende) Tierwohl dienen kann. Daher wird ein solcher Ansatz gänzlich als „nicht zweckmäßig“ verworfen.

Es mag an dieser Stelle die Kritik aufkommen, dass man sich doch dann diese Ausführungen hätte sparen können, um direkt zum Punkt zu kommen, doch bisweilen ist es wichtig, nicht nur den Lösungs-, sondern auch den Irrweg zu kennen, damit eher verstanden wird, warum welcher Weg zu wählen ist. Neu angesetzt: Worum geht es uns, wenn wir den Begriff Massentierhaltung, sei es in den Nachrichten oder in der veganen Szene, verwenden? Was geht uns durch den Kopf, wenn wir diesen Begriff hören? Dieser Frage ist ein Team rund um Achim Spiller in einer kleinen Erhebung (n = 287) nachgegangen, deren Ergebnisse wie folgt zusammengefasst wurden: „Die Befragten wurden im ersten Schritt der Befragung gebeten, spontan drei Begriffe zu nennen, die sie mit „MTH“ [Massentierhaltung] verbinden (offenen Assoziationen). Fast ausschließlich wurden hier negative Begriffe geäußert. Bezeichnungen, die Grausamkeit und Ungerechtigkeit ausdrücken, wurden am häufigsten genannt (130 Nennungen). Darauf folgten Begriffe, die mit Geflügel in Verbindung stehen (101 Nennungen), die Wörter Qual und Quälerei (100 Nennungen) sowie nachstehend Begriffe, die auf Krankheiten (69 Nennungen) sowie ein geringes Platzangebot hinweisen (67 Nennungen).“ [8]

Insofern diese Erhebung die Gedanken der Menschen ausreichend widerspiegelt – wovon ausgegangen werden kann –, ist festzuhalten, dass die Tieranzahl trotz des Begriffs Massentierhaltung eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist das Schicksal der Tiere, an das die Menschen denken, weswegen auch die häufig synonym verwendeten Bezeichnungen wie „Intensivtierhaltung“ oder „industrielle Tierhaltung“ den Kern der Sache sprachlich nicht besser treffen.

Ist der Begriff Massentierhaltung folglich insgesamt zu verwerfen, da er sprachlich ohnehin nicht das aufgreift, was der Kern der Sache ist? Eine genauere Betrachtung dieser Frage führt recht bald zu einer verneinenden Antwort, denn die Anzahl der Tiere ist keineswegs vollkommen irrelevant, sodass der Begriff Massentierhaltung wohl eher eine Ergänzung zu Bezeichnungen wie „Intensivtierhaltung“ oder „industrielle Tierhaltung“ darstellen kann. Mit diesen Begriffen ließe sich dann jeweils etwas leicht Anderes adressieren, wenn es gelingt, dem Begriff „Massentierhaltung“ eine eigene und sinnvolle Bedeutung zu geben.

Zur Erhellung des zur Diskussion stehenden Problems kann es helfen, das Phänomen des Animal Hoardings zu betrachten. Wenn eine Person in ihrer Wohnung 30 verwahrloste Kaninchen hält, ist es zunächst nicht die Tieranzahl, die uns empört, sondern der Zustand der Tiere, selbst wenn wir ihn nicht als unabhängig von der Tieranzahl wahrnehmen. Stellen wir uns dasselbe Szenario nun lediglich mit dem Unterschied vor, dass es den 30 Kaninchen auf den ersten Blick bestens geht, bleibt dennoch ein gewisses, an die Anzahl gekoppeltes Unbehagen. Ergänzen wir zusätzlich ein drittes Szenario, bei dem ein aus 10 versorgungsbefähigten Personen bestehender Haushalt dieselben 30 verwahrlosten Kaninchen beherbergt. Ist hier primär die Anzahl der Tiere oder das Versagen der Personen das Problem?

Die Ursache unserer Wahrnehmungen ist in der Tatsache zu erblicken, dass wir die Anzahl der Tiere nicht isoliert, sondern in Relation zu den personellen Ressourcen betrachten. Die Haltung von 30 auf den ersten Blick gesunden Kaninchen durch eine einzelne Person bleibt in der Wahrnehmung ein Problem, da zu befürchten ist, dass die individuelle Betreuung darunter leidet oder die Versorgung spätestens im Krankheitsfall kaum noch anständig zu gewährleisten ist. Geht es hingegen um eine professionelle Einrichtung mit derselben Tieranzahl und 10 Pflegern, erscheint die Anzahl der Tiere sogar eher als unverhältnismäßig niedrig.

Letztlich dürfte es genau das sein, was unser Unbehagen mit der „Massentierhaltung“ fernab des bloßen Zustands und der Haltungsbedingungen der Tiere ausmacht. Während wir mit „Intensivtierhaltung“ oder „industrieller Tierhaltung“ vor allem auf die materiellen Ressourcen, auf die Bedingungen (inkl. Platz) und Methoden abzielen, erfasst der Begriff Massentierhaltung den Mangel an individueller Tierbetreuung, wie wir es bei jedem Hund und jeder Katze für geboten halten. Ist man gewillt, diesen Betrachtungswinkel als den Kern der Sache treffend zu akzeptieren, dann lässt sich der Begriff Massentierhaltung wie folgt definieren:

Massentierhaltung ist eine Form der Tierhaltung, bei der die Anzahl der gehaltenen Tiere derartig in einem Missverhältnis zu den personellen Ressourcen steht, dass eine angemessene individuelle Versorgung und Pflege nicht mehr erfolgen kann.

Eine solche Definition mag auf den ersten Blick Irritationen hervorrufen, weil daraus folgt, dass ein und dieselbe Tieranzahl einmal als Massentierhaltung und einmal nicht als Massentierhaltung einzustufen sein kann, aber sie wird unserer Wahrnehmung gerecht, dass es einen Unterschied macht, ob eine Person oder ob 20 Personen 100 Schafe zu versorgen haben. Es ist die Relation, auf die es bei der Menge der Tiere ankommt, nicht die Tieranzahl an sich, wie ein einfaches Beispiel noch einmal verdeutlichen kann:

Niemand käme auf die Idee, bei einer Person, die ein aus 500 Tieren bestehendes Ameisenvolk hält, an „Massentierhaltung“ zu denken, da eine individuelle Versorgung ohnehin kaum möglich ist und diese Mengen zudem arttypisch sind. Würde dieselbe Person hingegen 500 Gespenstschrecken halten, die in Häutungsruhe und während der Häutung dringend weitestgehend störungsfrei bleiben müssen, da sie sonst mit tödlichen Folgen abstürzen oder steckenbleiben können – dann wäre diese Zahl ein Problem, da sie mit der notwendigen und möglichen individuellen Pflege (z.B. durch Isolation) im Normalfall nicht mehr zu vereinen ist. – Es geht uns folglich in der Tat nicht um die bloße Anzahl der Tiere, weswegen sich die Frage erübrigt, ab welcher Menge von „Massentierhaltung“ zu sprechen wäre.

Weibchen der Malaiische Riesengespenstschrecke (Heteropteryx dilatata) während der Adulthäutung

Der Einwand, dass sich ja auch schon ein einzelnes Tier unzureichend versorgen ließe, erübrigt sich, da hier nicht die Anzahl der Tiere das Problem ist, sondern das Versagen des Pflegers oder der Anspruch des Tieres. Es geht gerade nicht um vereinzelte Verwahrlosung oder anspruchsvolle Tiere, sondern um die mangelhafte Versorgung aufgrund der Tieranzahl im Verhältnis zur Betreuungskapazität. Das ist es, was die sprachliche Implikation des Begriffs Massentierhaltung – in Abgrenzung zum Begriff Intensivtierhaltung – mit unseren damit verbundenen Assoziationen sinnvoll zusammenführt.

Die Stärke dieses Ansatzes ist zusätzlich darin zu erblicken, dass er in Gesprächen mit Landwirten funktioniert. Landwirte räumen in Gesprächen ein, dass es ihnen fernab wirtschaftlicher Zwänge personell gar nicht möglich wäre, sich um ihre landwirtschaftlichen Tiere so zu kümmern, wie wir es bei unseren Haustieren für geboten halten. Auf diese Weise lässt sich die Anzahl der Tiere als Problem adressieren, ohne auf die Rahmenbedingungen (Stallgröße etc.) eingehen zu müssen.

Der hier zur Diskussion gestellte Ansatz ist nicht mit dem Anspruch verbunden, die Debatte beendet zu haben oder alternativlos zu sein. Er ist vielmehr ‚der Öffentlichkeit übergeben‘, um schauen zu können, ob er sich bewährt, ob er valide Einwände hervorruft. Daher sei abschließend nur noch ein kleines Detail aus der angesprochenen Erhebung nachgetragen: Die Tieranzahl, ab der wohl jeweils 90% der Verbraucher zustimmen, dass es sich um Massentierhaltung handelt, beträgt: 500 Rinder, 1000 Schweine und 5000 Hühner. [3]


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Quellen

Bildnachweis: Drägüs

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