Das Zitat
Plötzlich ertönten Posaunenklänge – grell und schreckenhaft. Die Luft belebte sich mit Engelsgestalten, welche nach allen Himmelsgegenden hinstoben und das jüngste Gericht als herannahend verkündeten. Und als die Posaunenklänge sich in die Weite verloren hatten, da fand sich ein unermeßliches Gewimmel von lauter Thieren ein, welche kamen, den Menschen ob seiner Quälereien bei dem ewigen Richter zu verklagen. Still ordnete sich das edle Pferd in eine lange Reihe, die Zeichen seiner Marter an sich tragend. Hier sah man den muthigen Hengst, dem die Peitsche des Frachtfuhrmanns mit Bedacht die Augen blind geschlagen - den schnellen Renner, dem der Schweif gestutzt und die Seite vom Sporen zerfleischt war – das keuchende Postpferd, den abgemagerten Lohnkutschergaul, das Fabrikpferd, dessen einzige Bewegung ist, alltäglich mit verbundenen Augen um eine Säule im Ringe herumzugehen. Die Hunde, verstümmelt und nicht, aber alle gequält durch Hunger und Durst, durch Schläge und harte Arbeit, durch Mangel an Pflege und Freiheit, – sie nahmen einen weiten Raum ein. Kälber und Schweine, welche man als Schlachtopfer nach der Stadt bringt und mit abscheulicher Barbarei fest zusammenschnürt, waren in unermeßlicher Menge zu schauen, so auch andere ihres Geschlechts, welche auf langsame und grausame Weise vom Schlächter dem Tode geweiht werden.
Geringer war die Anzahl Katzen und anderer Hausthiere, welche von gewissenlosen Aerzten auf die fürchterlichste Weise lebend zerschnitten, geschunden und zerstochen worden waren, um angeblich durch ihre namenlosen Qualen die Heilkunde zu erweitern. Hierauf fanden sich all’ die zahllosen Geschöpfe ein, welchen die Küche des Feinschmeckers zur Marterkammer gemacht wird. Verstümmelte Hühner, durch künstlich erzeugte zu große Lebern oder im Fette erstickte Gänse, mit kaltem Wasser ans Feuer gesetzte Krebse, – Aale, die man mit der Gabel durch die Augen auf den Küchentisch fest nagelt, um lebend ihnen die schlüpfrige Haut zu entnehmen, – Frösche, welche ihre Hinterkeulen zu Suppen hergeben mußten und die man zweibeinig dem langsamen Verhungern preis giebt – sie Alle naheten sich , ihre bisher stummen Klagen endlich einmal laut werden zu lassen. Herbei geflogen kam das Heer der Vögel, vom undankbaren Menschen in enge Käfige eingesperrt gewesen; – herbeigeächzt das zu Tode gehetzte Wild, vom armen, röthlichen Reinecke an bis zum stolzen Hirsche; – kein Ende nehmen wollte das unermeßliche Getümmel. Und als sie alle beisammen und geordnet waren, lagerte sich eine tiefe Stille über die Menge, welche ihre Augen emporhob gen Himmel.
Und eine Stimme fiel herab von demselben, welche sprach: „Ich kenne euer Anliegen, so wie eure Noth. Denn auch ihr seid mein und von mir geschaffen, um in eurer Weise glücklich zu sein und nicht zur Qual. Wo aber ist der undankbare Mensch, den ich zum Herrn über euch gesetzt hatte in guter Meinung? Er komme herbei, auf daß ich ihm thue, wie er euch gethan bei Leibesleben.“ Darauf lichtete sich die Menge und bildete einen weiten Kreis, in welchen jetzt der Mensch scheu und angsthaft eintrat. Und die Stimme vom Himmel sprach zu ihm strafend: „Die Stunde der Vergeltung ist da. Bereite dich, deinen Lohn zu empfahen.“
Karl Gustav Nieritz (1795-1876) Quelle: Gustav Nieritz, Fedor und Luise, oder: Die Sünde der Thierquälerei, Berlin 1846, S. 93-95. [Erstausgabe: 1843.]
Anmerkungen
Der Autor fehlt in allen mir bekannten Sammlungen und wird hier somit zum ersten Mal verzeichnet.
Worterklärungen:
- hinstoben: von stieben, hier: sich rasch verteilen, davonfliegen
- Reinecke: Fuchs
- empfahen: veraltet für empfangen
Über den Autor
Karl Gustav Nieritz war ein deutscher Schuldirektor, Lehrer, Maler und Schriftsteller. Er verfasste zahlreiche Werke für die Jugend, aber auch populäre Erzählungen für die breite Bevölkerung. Während er zu Lebzeiten ein berühmter Autor war und seine Werke noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder neu abgedruckt sowie teilweise sogar in andere Sprachen übersetzt wurden, ist Nieritz heute weitestgehend vergessen. Seine Erzählungen werden nur noch selten aufgelegt, sodass lediglich noch erwähnt sei, dass seine Autobiographie 1997 noch einmal gekürzt erschien, da sie aufgrund ihrer detaillierten Beschreibungen der Dresdner Kultur ein wertvolles historisches Dokument darstellt. In der in Dresden nach ihm benannten Straße kann bis heute ein großes Denkmal mit einer Büste Nieritz’ besucht werden.
Für die Geschichte des deutschen Tierschutzes ist Karl Gustav Nieritz aufgrund seiner Erzählung „Fedor und Luise, oder: Die Sünde der Thierquälerei“ aus dem Jahre 1843 von Interesse. Sie gehört zu den frühesten deutschen Tierschutzwerken, die sich an Kinder wendeten und somit auf die ‚Herzensbildung‘ des Nachwuchses abzielten. Das Buch erzählt die Geschichte einer armen Familie, die den Rahmen dafür bildet, zahlreiche Fragen des Tierschutzes zu behandeln. Im Zentrum der Erzählung steht Luise, die Tochter der Familie, deren von Mitleid und Fürsorge geprägtes Verhalten Tieren gegenüber am Ende zur Rettung der Familie führt. Auch wenn das Buch zeitbedingt kein Plädoyer für den Vegetarismus enthält, spricht es von Pflichten gegen Tiere, lehrt selbst gegen Insekten Mitleid und spricht sich in klaren Worten gegen jede Form der Tierquälerei aus. Mit Luise enthält es auch eine Figur, die sich weigert, selbst ein Tier zu töten.
In seiner Autobiographie berichtet Nieritz, dass er sich 1844 als Co-Redakteur für eine Zeitschrift des Dresdner Tierschutzvereins gewinnen ließ, obwohl er kein Geld dafür bekam und eigentlich keine zeitlichen Ressourcen dafür hatte. In der Praxis fungierte Nieritz daher nur kurz als Zugpferd und steuerte für den ersten Jahrgang drei Erzählungen bei, bevor er schon 1845 wieder aus der Zeitschrift verschwand. Leider ist auch über Hans Georg Williges heute sehr seltene, umfassende Darstellung der Geschichte des Dresdner Tierschutzvereins („Hundert Jahre Tierschutz in Dresden“, 1939) nicht viel darüber hinaus in Erfahrung zu bringen.